Dr. Storch in der Tageszeitung die Welt: So wehren Sie sich gegen die unberechtigten Kündigungen von Sparkassen und Volksbanken!

DIE WELT  Nr. 216 (DWBE-HP) vom 16.09.2019 – Seite 13 Finanzen von Anne Kurz

Das Angebot klang verlockend: „Einsteigen jetzt – Aussteigen jederzeit. Prämiensparen flexibel.“ Darunter war ein schwarz-weißes Foto eines Hamsters zu sehen, der sich in einem Rad abstrampelte. Mit diesem Flyer versuchten Sparkassen vor 16 Jahren, ihre Kunden zum Sparen zu animieren. Belohnt wurden diese mit attraktiven Prämien auf das eingezahlte Kapital. Das Institut profitierte von den Einlagen, die es als Kredite weitergeben oder mit üppigen Renditen an den Kapitalmärkten anlegen konnte. Ein Erfolgsrezept, das in den Neunzigerjahren und Anfang des Jahrtausends viele Sparkassen und Volksbanken anwandten.

 Doch in Zeiten von Nullzinsen liegen die einst so lukrativen Verträge wie Blei in den Bilanzen der Institute. Die Ersparnisse bringen an den Kapitalmärkten kaum Rendite. Dank der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ist Geld im Überfluss vorhanden, trotzdem müssen hohe Prämien gezahlt werden. Eine lästige Pflicht, von der sich die Institute befreien wollen. Entsprechend häufig verschicken sie in letzter Zeit Kündigungen.

 Doch was den Geldhäusern Erleichterung verschaffen soll, ist für die betroffenen Kunden besonders schmerzhaft. Schließlich sind die einst so konservativen Sparverträge mittlerweile die einzige Option für Verbraucher, um bei null Risiko noch auskömmliche Erträge auf ihr Erspartes zu bekommen. Zum Vergleich: Der durchschnittliche Tagesgeldzinssatz liegt mittlerweile bei null Prozent. Verbraucher sollten die Kündigung daher nicht einfach hinnehmen. Sie können sich oftmals dagegen wehren – oder zumindest den Schaden schmälern.

 Sie hießen „S-Prämiensparen flexibel“, „S-Vorsorgesparen“, „S-Scala“, „Flexsparen“, „VR-Zukunft“ oder „Express“ und funktionierten alle mehr oder weniger nach dem gleichen Prinzip. Zusätzlich zu einem eher niedrigen, meist variablen Zins wurden die Kunden mit einer Prämie auf die jährliche Ersparnis belohnt. Die Prämie lag in den ersten Jahren oft bei null, stieg dann aber mit längerer Laufzeit rasant an – in der Regel auf 50 Prozent, in manchen Fällen gab es bis zu 100 Prozent.

Teilweise wurden auch sogenannte Bonuszinsen vereinbart, die dann auf das Gesamtguthaben fällig wurden. Für die Institute ist das im aktuellen Umfeld besonders teuer. Ein Beispiel hierfür ist der „S-Scala“-Vertrag der Sparkasse Ulm. Das süddeutsche Institut machte dann auch als erstes mit einer Kündigungswelle auf sich aufmerksam.

 „Viele Jahre lang haben Sparkassen und Volksbanken mit den Prämiensparverträgen sehr viel Geld verdient, während die Kunden kaum etwas davon hatten“, sagt Niels Nauhauser von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Nun hat sich das Blatt wegen der Nullzinsen gewendet. Und schon wollen die Institute um jeden Preis aus den Verträgen raus.“ Einige Geldhäuser kündigten auch dann, wenn sie dazu nicht berechtigt seien, etwa wenn eine Laufzeit vereinbart war oder die versprochenen Prämien noch nicht bezahlt wurden.

 So gilt die eiserne Regel: Vor Ablauf der vereinbarten Laufzeit darf ein Geldinstitut nicht kündigen. Trotzdem versuchen es die Institute. Sie geben die Kündigungen maschinell an alle Kunden raus, die einen bestimmten Prämiensparvertrag abgeschlossen haben, ohne vorher zu kontrollieren, ob deren Laufzeit bereits abgelaufen ist. „Diese Kündigung sollten Verbraucher nicht akzeptieren und weiterhin ihre vereinbarten Sparraten zahlen“, empfiehlt der Berliner Anwalt Thomas Storch. Verbraucherzentralen bieten auf ihren Seiten einen Musterbrief, mit dem Betroffene gegen eine Kündigung Widerspruch einlegen können.

 Doch was machen Verbraucher, in deren Verträgen gar keine Laufzeit vereinbart wurde? Für sie gilt in jedem Fall, dass der unbefristete Vertrag laufen muss, bis die Höchstprämie ausgezahlt wurde. So haben es die Richter am Bundesgerichtshof (BGH) im Mai dieses Jahres entschieden. Oftmals sind das 15 Jahre, dann ist Schluss. Doch manche Kunden haben möglicherweise Glück. Bei einigen Prämiensparprodukten haben die Banken in ihren Werbeflyern auch Aussagen über die darauffolgenden zehn Jahre gemacht, in denen dann weiterhin die Höchstprämie fließt. Dies kommt laut Verbraucherzentralen einer Verlängerung der Laufzeit gleich. Der BGH sieht darin allerdings keine verbindliche Aussage zur Vertragslaufzeit. Trotzdem ist diese Konstellation bei einigen Ausnahmen noch unklar.

 Ein Extremfall ist eine Laufzeit von 99 Jahren. Auch die gibt es – und zwar bei Menschen, deren Eltern oder Ehepartner verstorben sind. Ihr Vertrag wurde dann auf sie übertragen. Obgleich die Sache eindeutig scheint, wollen einige Sparkassen diese Kunden loswerden. Ihre Begründung: 99 Jahre sei ein Synonym für unbefristet. 2010 bis 2017, als die meisten Verträge übertragen worden seien, habe es das Computerprogramm schlicht nicht ermöglicht, „unbefristet“ einzutragen. Daher sei man auf 99 Jahre ausgewichen. In den Augen des Anwalts Storch eine abwegige Argumentation. Bisher gibt es zu diesem Fall aber noch kein höchstrichterliches Urteil.

 Eindeutig ist jedoch, dass die Institute bei den gezahlten Zinsen oftmals viel zu geizig waren. So konnte der Zins von den Geldhäusern in Eigenregie angepasst werden. Dem hat der BGH bereits 2004 einen Riegel vorgeschoben. Seitdem sind Banken dazu verpflichtet, die Verzinsung an einem unabhängigen Referenzzins auszurichten. „Man kann die Zinsen nicht einfach nach Gutsherrenart anpassen. Das ist rechtswidrig“, sagt Verbraucherschützer Nauhauser. Betroffene Sparer können die Berechnung bei den Verbraucherzentralen Brandenburg und Sachsen überprüfen lassen. Gegen ein Entgelt kalkulieren sie die Zinsen neu. „Nach unserer Beobachtung wurde den Kunden im Mittel die Hälfte der Zinsen vorenthalten, die ihnen zustehen“, sagt Nauhauser. Verbraucher müssten jedoch selbst auf ihr Institut zugehen wegen der zu geringen Zinsen. „Die Geldhäuser sind nicht verpflichtet, selbstständig die Zinsen zu erstatten. Unseres Erachtens kann nur die Finanzaufsicht BaFin die Institute zwingen, die Verträge anzupassen und Zinsen nachzuzahlen.“

 Die Bonner Behörde ist hier jedoch nur eingeschränkt in der Lage, aktiv zu werden. Tätig werden kann die BaFin nur zum allgemeinen Schutz der Verbraucher, nicht zum Schutz Einzelner. „Betroffene Verbraucher können sich gerne an uns wenden, um uns über das Verhalten eines einzelnen Instituts zu informieren“, sagte eine Sprecherin. „Stellen wir fest, dass die verwendeten Vertragsklauseln gegen geltende Rechtsprechung verstoßen oder den geltenden rechtlichen Anforderungen nicht in vollem Umfang genügen, gehen wir dem nach.“

 So ist es an den Verbrauchern zu handeln. Wahrscheinlich ist, dass die Zahl der Betroffenen steigen wird. Verbraucherschützer befürchten, dass die Zahl der Geldhäuser, die ihre Prämiensparer loswerden wollen, in den nächsten Jahren noch deutlich ansteigen könnte.