Worum geht es?

Sparkassen kündigen Sparverträge „S-Prämiensparen-flexibel“ (siehe auch Video vom rbb, 29.10.2018)

Der Sparkassenskandal

Nachdem zunächst nur Bausparkassen hochverzinste Bausparverträge gekündigt hatten, ziehen jetzt vor allem die Sparkassen bei der Kündigung von langfristig angelegten Sparverträgen (S-Prämiensparen flexibel) nach. Anfänglich hatten überwiegend Sparkassen in den ostdeutschen Bundesländern versucht, die missliebigen Sparverträge samt den betroffenen Sparern (zumeist Rentner, die für sich oder ihre Kinder Geld auf die Seite legen wollten) loszubekommen. Aktuell ziehen vor allem die Sparkassen in Bayern nach und aufgrund der enormen Anzahl von Kündigungen muss man von einer Kündigungswelle sprechen. Experten gehen davon aus, dass nur bis heute rund 40 Sparkassen mehr als 100.000 Verträge gekündigt haben.  Mit Schreiben vom 24.06.2019 hat etwa allein die Sparkasse Nürnberg rund 21.000 Verträge zu Oktober 2019 gekündigt. Ende September 2019 ist die Stadtsparkasse München nachgezogen und hat 28.000 Sparern gekündigt. Experten und auch die Verbraucherzentralen gehen davon aus, dass die 381 deutschten Sparkassen demnächst flächendeckend den vermeintlichen „Kündigungsjoker“ ziehen werden.  Dies ist vor allem auf eine Urteil des BGH (XI ZR 345/18) zurückzuführen, welches Kündigungen grundsätzlich als rechtmäßig erachtet, sofern keine festen Laufzeiten vereinbart worden sind.
Obwohl etwa die Verträge der Sparkasse Nürnberg regelmäßig eine vertragliche Prämienstaffel von  „20 Jahren und FJ“ (Folgejahren) aufweisen, hat die Sparkasse unterschiedslos alle Verträge gekündigt.
Mitarbeiter von Sparkassen machen keinen Hehl daraus, dass ihnen die hochverzinsten Sparverträge „ein Dorn im Auge“ sind.
Da die Kündigungen juristisch fragwürdig sind, sich zwischenzeitlich auch die Politik mit dem Thema beschäftigt und es offenbar Absprachen im Sparkassenverband gegeben hat, sprechen wir mittlerweile von einem Sparkassenskandal.
Der Skandal ist mittlerweile auch beim höchsten deutschen Zivilgericht, dem Bundesgerichtshof angekommen, der am 14. Mai 2019 (XI ZR 345/18) ein Urteil gefällt hat. Dieses betrifft jedoch nur einen Teil der Fälle und die Frage der rückwirkenden Zinsansprüche wird garnicht behandelt. Aus diesem Grund hat das Urteil auch keinen Einfluss auf die von uns beim LG Frankfurt/Oder eingereichten Musterklagen gegen die Sparkasse MOL. Anfang November 2019 haben wir eine Musterklage gegen die Sparkasse München eingelegt, im April 2020 folgte eine gegen die Sparkasse Nürnberg.
Im Oktober 2019 hatte die Sparkasse Jerichower Land – in einem von uns vertretenen Fall – die vertraglich vereinbarte Laufzeit von „1188“ Monaten anerkannt und als verbindlich erklärt. Dies dürfte nach unserer Einschätzung ganz erheblichen Einfluss auf die weiteren Gerichtsverfahren haben. Am 15.11.2019 hat das LG Stendal (AZ: 22 S 104/18, rkr. seit 20.08.2020) eine Kündigung der dortigen Sparkasse demnach als rechtswidrig erachtet. Als erstes Oberlandesgericht hat dass OLG Dresden (8 U 1770/18) eine Kündigung der Sparkasse Zwickau als rechtswidrig erachtet und sich dabei auf das zitierte BGH-Urteil berufen. Das LG Frankfurt/Oder ist dem nach einer Beweisaufnahme am 14.09.2020 gefolgt und hat geurteilt, dass es von einer verbindlichen Vertragsdauer ausgeht und die Kündigung der Sparkasse MOL rechtswidrig ist. Die Urteile des LG Frankfurt (Oder), die eine feste Laufzeit von 99 Jahre bestätigen, sind mittlerweile rechtskräftig.

Mit Urteil vom 22.04.2020 (5 MK 1/19) hat das OLG Dresden im ersten Musterfeststellungsverfahren entschieden, dass die branchenübliche Zinsklausel der Sparkasse Leipzig unwirksam ist und die daraus resultierenden Zinsansprüche nicht verjährt sind.
Dem haben sich ab 2020 zahlreiche Gerichte angeschlossen, so etwa das LG Frankfurt/Oder und das LG München I. Der BGH hat diese Rechtsauffassung mit Urteil vom 06.10.2021 (XI ZR 234/20) vollauf bestätigt. Das LG Frankfurt/Oder hat sodann mit Urteil vom 02.11.2021 die Sparkasse MOL erstmals zur Zahlung von rund 7.500,0 € an Zinsen verurteilt. In weiteren Urteilen hat die Bankenkammer des LG Frankfurt (Oder) seine Rechtsauffassung wieder relativiert und den Sparern nur ca. 50% ihrer Forderung zugesprochen. Wir haben allerdings in allen Verfahren Rechtsmittel eingelegt, am Oktober 2022 wird sich daher der 4. Senat des OLG Brandenburg mit diesen Urteilen befassen.

Wir haben von Anfang an gemeint, dass sich schon deshalb der von uns betriebene Aufwand für unsere Mandanten am Ende lohnen wird.  Wir sehen uns darin durch das zitierte Grundsatzurteil des BGH (XI ZR 234/20) bestätigt.

Der Begriff Sparkassenskandal trifft aber auch deswegen den wunden Punkt, weil die Sparkassen meist über die gesamte Laufzeit hinweg zu niedrige Sparzinsen gezahlt haben und Sparer rückwirkend Zinsforderungen in ganz erheblich Höhe geltend machen können. Schlüssel dafür ist, dass die in den Verträgen verwendeten Zinsanpassungsklauseln unwirksam sind. Diese sind durch solche Klauseln zu ersetzen, welche dem langfristigen Anlagehorizont der Sparer am nächsten kommen. Auf dieser Grundlage gelangen wir zu Zinsrückforderungen je nach Sparrate von 3.000 bis 20.000 €.
Im Februar 2020 hat sich sogar die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) in den Skandal eingeschaltet und sich auf die Seite der Sparer geschlagen:
Sie erachtet die Vorgehnsweise der Banken als „Missstand“ und hat die Institute aufgefordert, ihre Kunden von sich aus über unwirksame Zinsklauseln zu informieren und angemessene Lösungen anzubieten, ein bislang einmaliger Vorgang in der Bankenaufsicht. Anfang 2021 hat die BaFin die angekündigte Allgemeinverfügung erlassen, die Sparkassen haben postwendend dagegen Widerspruch eingelegt.

Wir halten es zudem für problematisch, dass etwa die Sparkasse MOL den gekündigten Prämiensparern „Anlageangebote für den gekündigten Prämiensparvertrag“ nebst einer Fristsetzung vorlegt, ohne darauf hinzuweisen, dass ihre Kunden mit der Annahme dieser „Angebote“ die erfolgten Kündigungen unserer Einschätzung nach akzeptieren bzw. man ihnen im Falle einer Klage widersprüchliches Verhalten vorwerfen wird.
Wissen sollte man auch, dass die Sparkassen selbst ihren eigenen Mitarbeitern das S-Prämiensparen flexibel für eine sichere Altersvorsorge empfohlen haben und man nicht davor zurückschreckt, den eigenen Mitarbeitern ebenfalls zu kündigen.

Von den 381 Sparkassen haben bis Oktober 2019 rund 40 Kündigungen ausgesprochen worden, von denen wir nur einige wie folgt benennen:

– Altmark West

– Erzgebirgssparkasse

– Harzsparkasse

– Saalesparkasse

Sparkasse Bayreuth

– Sparkasse Anhalt-Bitterfeld

– Sparkasse Bautzen

Sparkasse Bergkamen-Bönen

Ostsächsiche Sparkasse Dresden

Sparkasse Garmisch-Partenkirchen

Sparkasse Ingolstadt-Eichstätt

–Sparkasse Jerichower Land

– Sparkasse Leipzig

– Sparkasse Muldental

– Sparkasse Meißen

Sparkasse Märkisch-Oderland

Sparkasse Mülheim an der Ruhr

Stadtsparkasse München

Sparkasse Nürnberg

Sparkasse Osnabrück

– Nord-Ostsee Sparkasse

– Sparkasse Remscheid

Sparkasse Stendal

Sparkasse Saarbrücken

Sparkasse Wittenberg

Sparkasse Wartburg

-Sparkasse Zwickau

Die Kündigungen erfolgten vor dem Hintergrund, dass Sparkassen eigentlich – anders als Privat- und Geschäftsbanken – dem Gemeinwohl verpflichtet sind. Explizit ist es Aufgabe der Sparkassen, den Sparsinn in der Bevölkerung zu pflegen und die allgemeine Vermögensbildung zu fördern.
Damit passt es eigentlich schlecht zusammen, dass bestimmte Sparkassen ihre Gemeinwohlverpflichtung über Bord werfen, zur schweren Keule der Kündigung greifen, um sich so von ihren langjährigen Kunden zu trennen, die zumeist noch ein Girokonto und weitere Geschäftskontakte mit „ihrer Sparkasse“ unterhalten und dies zumeist seit Jahrzehnten. Statt die „Reißleine“ zu ziehen, wie dies zuletzt in Nürnberg und München tausendfach gemacht wurde, hätte man auch eine Vertragsanpassung in Form einer Prämienreduzierung in Erwägung ziehen können.

Dass man sich an geschlossene Verträge halten und gemachte Zusagen einhalten sollte, zeigt das Beispiel der Sparkasse Spree-Neisse. Eine von der Kanzlei DR. STORCH & KOLLEGEN vertretene Kundin erhielt am Ende einen satten Bonus von 15.000 € und die Sparkasse hielt sich an ihre vertragliche Pflicht. Auch andere Sparkassen, etwa aus Niedersachsen, NRW und aus Bayern zeigen sich mittlerweile durchaus vergleichsbereit.
In Einzelfällen zahlen die Sparkassen jedenfalls dann, wenn wir für unseren Mandanten Klage eingereicht haben, so etwa die Sparkasse Jerichower Land. Dadurch sollen Urteile zu Lasten der Sparkasse verhindert werden und man prüft, ob es die Sparer wirklich Ernst meinen.