Stiftung Warentest Finanztest berichtet über Sparkassenskandal

„Prämiensparverträge waren in den 90er- und frühen 2000er-Jahren ein Bestseller vieler Sparkassen. Ihren Namen verdanken sie der jährlichen Prämie, die zusätzlich zu einem Grund- oder Basiszins gezahlt wird. Je länger der Vertrag läuft, desto höher ist die von Beginn an festgelegte Prämie. Das ist für viele Sparkassen in Zeiten von niedrigen Zinsen ein Problem – und sie kündigen alte Sparverträge. Nun sind viele Kunden sauer und fühlen sich betrogen. In vielen Fällen lohnt der Protest. Anschaffung fürs Leben Ein Spar¬vertrag als Anschaffung fürs Leben: Das Sparkassen¬angebot „Prämiensparen flexibel“ scheint das mit einer angegebenen Laufzeit von maximal 99 Jahren perfekt zu erfüllen. Die langfristige Perspektive war auch der entscheidende Grund für Günter Baldauf aus Werdau, den Vertrag im Jahr 2012 aus dem Erbe seines Vaters weiterzuführen. Er hätte damals attraktivere Zinsangebote abschließen können, folgte aber der Empfehlung der Sparkassenberaterin, dabeizubleiben. Aus 99 Jahren Lauf¬zeit wurden 19 Jahre © Ralph Kunz Günter Baldauf. Nur etwa fünf Jahre später erhielt Baldauf von der Sparkasse Zwickau das Kündigungsschreiben. Aus 99 Jahren waren 19 Jahre Laufzeit geworden, obwohl im Vertrag von einem vorzeitigen Kündigungs¬recht der Sparkasse keine Rede ist. Baldauf sagt heute: „Den Sparvertrag hatte ich für meine Altersvorsorge vorgesehen. Wenn ich geahnt hätte, dass die Sparkasse vorzeitig kündigen kann, hätte ich ihn niemals übernommen.“ Unser Rat Abwarten. Handeln Sie nicht überstürzt, wenn Ihre Sparkasse einen alten Prämiensparvertrag kündigt. Lösen Sie das Sparkonto nicht voreilig auf, denn damit berauben Sie sich der Möglich-keit, gegen die Kündigung vorzugehen. Beratung. Lassen Sie sich von Experten beraten. Ein Termin in der nächstgelegenen Beratungs¬stelle einer Verbraucherzentrale hilft oft weiter, da deren Mitarbeiter einen Überblick über vergleichbare Fälle haben. Neuberechnung. Falls Sie Zweifel daran haben, dass die Zinsen Ihres Prämiensparvertrags korrekt berechnet wurden, können Sie die Verzinsung Ihres Vertrags bei der Verbraucherzentrale Sachsen nachrechnen lassen. Dieser Service kostet 85 Euro. Leider kein Einzelfall Der 67-jährige Rentner steht mit seinem Problem nicht allein da. Die Verbraucherzentrale (VZ) Sachsen kennt Hunderte Fälle, die ähnlich gelagert sind, sagt Andrea Heyer, Referatsleiterin Finanz-dienstleistungen bei der VZ. Auch in einigen anderen Bundesländern sind Kündigungen alter Sparkassenverträge an der Tagesordnung. Prämiensparverträge: Bestseller aus den 90er-Jahren Prämiensparverträge waren in den 90er- und frühen 2000er-Jahren ein Bestseller vieler Sparkassen. Ihren Namen verdanken sie der jährlichen Prämie, die zusätzlich zu einem Grund- oder Basiszins gezahlt wird. Je länger der Vertrag läuft, desto höher ist die von Beginn an festgelegte Prämie. Ab dem 15. Laufzeitjahr gibt es in der Regel 50 Prozent Bonus auf die jährliche Einzahlung. Der sogenannte Basiszins ist variabel und liegt zurzeit, dem Zinsniveau entsprechend, nahe null. Allein die Prämie ist attraktiv. Wie aus einer Win-Win-Situation ein lästiges Problem wurde Zum Zeitpunkt, als die meisten Prämiensparverträge geschlossen wurden, schienen sie für die Sparkassen eine ideale Möglichkeit, um sich langfristig und vergleichsweise günstig mit Kapital auszustatten. Da die Verträge durch ihre Konstruktion den Sparer zu dauerhaftem Sparen motivierten, konnten Sparkassen langfristig mit dem Geld planen. Auf der anderen Seite waren auch die meisten Sparer zufrieden, denn die steigenden Boni wirkten verlockend. Dass ein Direktvergleich mit anderen sicheren Zins¬anlagen kaum möglich war, störte kaum einen. Lange Lauf¬zeiten waren kein Problem Wegen der variablen Grundverzinsung war eine exakte Berechnung des Ertrags unmöglich. Das unterscheidet Prämiensparverträge von Sparplänen mit festem Zins oder vertraglich vereinbarter Zinstreppe. Finanztest hat in den 2000er-Jahren in mehreren Veröffentlichungen langfristige Spar-verträge untersucht. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, haben die beteiligten Sparkassen Laufzeiten von 25 oder 30 Jahren angegeben. Die Sparkasse Leipzig bezeichnete die Laufzeit sogar als unbegrenzt. Prämienzahlung als Bumerang Dass es so große Probleme mit den Sparverträgen gibt, hat zwei Ursachen: die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) und das jahrelang sinkende allgemeine Zinsniveau. Der BGH hat im Jahr 2004 entschieden, dass Banken den Grundzins bei variabel verzinsten Sparplänen mit Bonussystem nicht nach Belieben verändern dürfen (Zinsen zurück für Sparer). Vielmehr müssen sie die Zinserhöhungen und -senkungen im Einklang mit einer anerkannten Richtschnur vornehmen. Seitdem sind Banken dazu verpflichtet, die Verzinsung an einem unabhängigen Referenzzins auszurichten. Es ist nicht mehr ohne Weiteres möglich, die Rendite durch eine unangemessene Absenkung des Grundzinses zu drücken. Der Basiszins muss das allgemeine Auf und Ab des Zinsmarktes widerspiegeln. Nied¬rige Zinsen machen Banken zu schaffen Gravierender ist aus Sicht der Sparkassen aber das anhaltende Niedrigzinsniveau der letzten Jahre. Wenn Sparkassen Einlagen zum Beispiel bei der Europäischen Zentralbank parken wollen, müssen sie sogar Minuszinsen zahlen. Da passt es schlecht ins Konzept, wenn manche Sparpläne allein dank der Prämien noch über 2 Prozent pro Jahr bringen. Sparer wehren sich Da viele Sparer die Kündigung ihrer Verträge nicht widerspruchslos hinnehmen, gibt es reichlich Arbeit für Schiedsstellen und Gerichte. In den Beratungs¬stellen von Verbraucherzentralen ist der Andrang zeitweise so groß, dass zum Beispiel in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt eigene Infoveranstaltungen durchgeführt oder Beratungshotlines eingerichtet wurden. Ombudsleute halten Kündigung für rechtens Die Schlichtungsstelle beim Deutschen Sparkassen- und Giroverband hat bereits in ihrem Tätig-keits¬bericht aus dem Jahr 2017 die Kündigung von Prämiensparverträgen als Schwerpunkt ihrer Arbeit benannt: „Aufgrund der anhaltenden Niedrigzinsphase sehen sich immer mehr Sparkassen dazu veranlasst, derartige Prämiensparverträge zu kündigen, da die in den Sparverträgen versprochenen Leistungen nicht mehr zu erwirtschaften sind.“ Ombuds¬männer der Sparkassen halten die Kündigung für „rechtlich nicht zu beanstanden“ und empfehlen Betroffenen, sie zu akzeptieren. Verbraucherschützer setzen sich für Sparer ein Verbraucherzentralen sehen das natürlich anders (Interview: „Das Risiko wird einfach abgewälzt“). Die VZ Sachsen führt oder unterstützt aktuell zehn Klagen gegen die Sparkasse Zwickau und die Erzgebirgssparkasse. Die Verbraucherschützer setzen sich aber auch auf anderen Ebenen für betroffene Sparer ein. So hat die VZ Sachsen mit Sparkassenvorständen verhandelt, um für Kunden, die nicht klagen wollen, akzeptable Kompromisse zu finden. Vereinzelt lenken Sparkassen ein Das ist in mehreren Fällen gelungen. Einige Sparkassen erklärten sich bereit, zumindest für eine Übergangsphase eine Verzinsung zu zahlen, die deutlich über dem aktuellen Marktniveau liegt. Gerichte urteilen unterschiedlich In vielen Fällen bleibt Sparern aber nichts anderes übrig, als vor Gericht zu ziehen. Ihre Erfolgs-aussichten sind unklar, denn mehrere Urteile fielen zugunsten von Sparkassen aus. Bisher gibt es allerdings noch keine höchstrichterliche Entscheidung. Gut möglich, dass der Bundes¬gerichtshof das letzte Wort hat. Lange Laufzeiten als Köder Unabhängig von den Erfolgsaussichten vor Gericht bleibt festzustellen, dass viele Sparkassen die langen Lauf¬zeiten als Köder in der Werbung für ihre Sparverträge einge¬setzt haben. So wies ein Werbeflyer aus den 90er-Jahren ein besonders attraktives Endvermögen nach 25 Jahren Laufzeit aus, um Anlegern die „finanzielle Sicherheit im Alter“ schmackhaft zu machen. Im Spar¬vertrag von Günter Baldauf hat die Sparkasse Zwickau die Bonushöhe sogar bis zum 32. Sparjahr akribisch aufgelistet. Eine vorzeitige Kündigung passt nicht in dieses Bild. Streitfall Kündigung Altersvorsorge. Der 67-jährige Günter Baldauf hatte den Prämiensparvertrag bei der Sparkasse Zwickau aus dem Erbe seines Vaters weitergeführt, weil er ihn für ¬eine ideale Ergänzung seiner Altersvorsorge hielt. Die Kündigung der Sparkasse machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Laufzeit. Prämiensparverträge sind auf sehr lange Laufzeiten zugeschnitten. Da die Höchst-prämie in der Regel erst nach 15 Jahren erreicht wird, lohnt es sich für Sparer, lange durch-zuhalten. In Baldaufs Vertrag steht eine Laufzeit von 1188 Monaten. Die Höhe der jährlichen Prämien ist bis zum 32. Laufzeitjahr aufgeführt. Die Sparkasse kündigte bereits nach 19 Jahren. Werbung. Viele Sparkassen hatten in Werbeflyern explizit mit der langen Laufzeit geworben. Für Sparer, die von einer Kündigung betroffen sind, liefert diese Werbung bei gerichlichen Auseinandersetzungen wertvolle Argumentationshilfe. Verzinsung. In Baldaufs Vertrag ist eine Bandbreite für die Grundverzinsung angegeben. Demnach darf der Zins nicht unter 0,5 Prozent sinken und über 4,5 Prozent steigen. Tatsäch-lich schrieb die Sparkasse ihm seit 2012 aber nur zwischen 0,3 und 0,001 Prozent pro Jahr gut. Manchen Sparern wurden sogar zwei Verträge empfohlen Ein weiteres Indiz dafür, dass Prämiensparverträge als sehr langfristige Sparform verkauft wurden, nennt Ute Bernhardt, Leiterin Referat Recht der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt. Sie kennt zahlreiche Fälle, in denen Sparer auf Empfehlung ihres Beraters zwei Verträge mit gleicher Monats-rate abschlossen. Dies sei günstig für den Fall, dass der Sparer nicht mehr die volle Summe aufbringen könne. Dann würde zumindest ein Vertrag fortbestehen. Zweifel an korrekter Verzinsung Die vorzeitige Kündigung ist nicht der einzige Streitpunkt bei variabel verzinsten Prämienspar-verträgen. Verbraucherschützer zweifeln auch daran, dass es bei der Verzinsung stets mit rechten Dingen zuging. Der Prämiensparvertrag von Ulrike B. ist ein typisches Beispiel. Die 68-jährige Rentnerin hatte ihn im November 1993 abgeschlossen. Im Januar 2018 erhielt sie von der Erzgebirgssparkasse in Annaberg-Buchholz ein Schreiben mit der Kündigung. B. wandte sich an die Verbraucherzentrale Sachsen, konnte gegen die Kündigung aber nichts mehr tun, da sie das Konto aufgelöst hatte. Verbraucherservice: Neuberechnung für 85 Euro Besitzer alter Prämiensparverträge, die Zweifel haben, dass die Zinsen immer korrekt berechnet wurden, können ihren Vertrag neu berechnen lassen. Die Verbraucherzentrale Sachsen prüft, ob die Zinsanpassung den rechtlichen Vorgaben entspricht, und bietet gegen ein Entgelt von 85 Euro eine komplette Neuberechnung mit rechtlicher Bewertung an. Sie wendet sich mit dem Angebot auch an Betroffene aus anderen Bundesländern. Für die Neube-rechnung benötigt die Verbraucherzentrale eine Kopie des Vertrags sowie eine vollständige Übersicht der Sparraten und Zinszahlungen, wie sie zum Beispiel aus dem Sparbuch hervorgehen. Vertrag, Vertragsänderungen und Sparbuch können einge¬scannt an die VZ Sachsen gesendet werden. Bitte keine Originalunterlagen schicken! Verbraucherzentrale Sachsen, Katharinenstraße 17, 04109 Leipzig, Tel: 03 41/ 69 62 92 9, E-Mail: Vzs@vzs.de, verbraucherzentrale-sachsen.de/geld-versicherungen/zinsanpassung

Inakzeptables Vergleichsangebot

Die Verbraucherzentrale bot ihr aber an, bei dieser Gelegenheit auszurechnen, ob die Grundverzinsung in den knapp 25 Laufzeitjahren den Vorgaben des Bundesgerichtshofs entsprochen hat. Die Neuberechnung ergab tatsächlich eine große Differenz im Vergleich zu den gutgeschriebenen Zinsen. Nach einigem Schriftwechsel bot die Erzgebirgssparkasse der Kundin eine Nachzahlung im Rahmen eines außergerichtlichen Vergleichs an. Darauf hat sich Ulrike B. nicht eingelassen, denn das Angebot war für sie nicht akzeptabel. Die von der Sparkasse angebotene Nachzahlung ist viel geringer als der von der Verbraucherzentrale Sachsen ausgerechnete Betrag. Ihr Fall liegt nun bei der Schlichtungsstelle des deutschen Sparkassen- und Giro¬verbands (DSGV). Erzgebirgssparkasse beruft sich auf Referenzzins Auf unsere schriftliche Anfrage nach dem gewählten Referenzzins und den Anpassungsregeln antwortete die Erzgebirgssparkasse: „Die Zinsanpassungen erfolgten anhand der Entwicklung eines Referenzzinses, der den Gegebenheiten des konkreten Sparprodukts möglichst nahekommt.“ Streitfall Verzinsung Grundzins. Die 68-jährige Ulrike B. streitet mit der Erzgebirgssparkasse über die Verzinsung ihres gekündigten Sparvertrags. Grundsätzlich ist der Basiszins von Prämienspar¬verträgen variabel, kann also von der Sparkasse geändert werden. In den 90er-Jahren gab es noch keine Regeln für die Anpassung des Basiszinses. Rechtsprechung. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat 2004 entschieden, dass für die Verzinsung von variabel verzinsten Sparplänen mit Bonussystem eine anerkannte Richtschnur heranzuziehen ist. Dafür kommen zum Beispiel Renditezeitreihen der Bundesbank für Anleihen mit langer Laufzeit infrage. Transparenz. Für Sparplanbesitzer muss nachvollziehbar sein, nach welchen Regeln ihr Sparplan verzinst wird. Eine Vereinbarung über die Verzinsung ist unwirksam, wenn sie „nicht das erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen aufweist“, stellte der Bundesgerichtshof in einem weiteren Urteil aus dem Jahr 2010 fest. Fast jeder Vertrag ist anders Das Konzept der von verschiedenen Sparkassen verkauften Prämiensparverträge ist zwar ähnlich, aber im Detail sind sie meist verschieden. Verbraucherzentralen müssen sich deshalb jeden Beschwerdefall ganz genau anschauen. Der Ausgang von Gerichtsverfahren ist schwer kalkulierbar. Viele Sparkassen unternehmen nichts Auch die Sparkassen verhalten sich unterschiedlich. Den Kündigungswellen einiger Institute steht eine „schweigende Mehrheit“ gegenüber, die nichts unternommen hat, um Verträge loszuwerden. Nach Schätzung der Verbraucherzentrale Brandenburg ist in dem Bundesland nur etwa jeder Zehnte von rund 50 000 Sparplanbesitzern von einer erfolgten oder bevorstehenden Kündigung betroffen. Betroffene finden auf der VZ-Website einen Musterbrief, mit dem sie gegen eine Kündigung Widerspruch einlegen können. VZ Sachsen fordert Alternativangebote Die VZ Sachsen appelliert an Sparkassen, keine weiteren Kündigungen auszusprechen. Für bereits gekündigte Sparer fordert sie Alternativangebote mit gleicher Sicherheit und Rendite wie im Ursprungsvertrag“.